
Ein einzigartiger Klang entsteht selten einfach so. Im Fall der SMASHING PUMPKINS war es eher wie ein kontrollierter Vulkanausbruch, der von Visionen, inneren Kämpfen und Verlangen geprägt war.
Billy Corgan war alles andere als ein gewöhnlicher Musiker, und Chicago war auch kein typischer Ort, um eine Rockband zu gründen. Nach dem Ende seiner ersten Band, THE MARKED, die mit einem dunklen, gothischen Sound experimentierte, kam Billy Corgan 1988 aus Florida zurück in seine Heimatstadt. In einem kleinen Plattenladen in der Nachbarschaft, umgeben von Schallplatten, fand nicht nur seine musikalische Neuausrichtung statt. Dort traf er auch auf James Iha, einen talentierten Gitarristen mit einer Vorliebe für melancholischen Pop und einem Sinn für das Unkonventionelle.
Die ersten Songs des Duos erinnerten eher an Post Punk und New Wave. Aber das war erst der Anfang. Billy Corgan lernte D’arcy Wretzky kennen, eine Bassistin, und nur wenige Wochen später stand sie schon mit ihm auf der Bühne. Den letzten Platz im Puzzle nahm dann Jimmy Chamberlin ein, ein Jazzdrummer mit einem explosiven Stil. Mit seiner kraftvollen Spielweise wurde aus der elektronischen Präzision des anfänglichen Duos etwas Wildes und Leidenschaftliches.
Den ersten großen Schritt unternahmen sie 1990 mit ihrer Single ´I Am One´, die bei dem kleinen Label “Limited Potential” veröffentlicht wurde. Dieser kraftvolle Song zeigte, dass es möglich war, schwere Riffs mit eingängigen Melodien zu verbinden. Kurz danach folgte ´Tristessa´ bei “Sub Pop” – dem Label, das mit Bands wie NIRVANA, MUDHONEY und SOUNDGARDEN das Fundament der amerikanischen Rockszene aufrüttelte. Doch Billy Corgan wollte nicht nur ein Teil dieses großen Ganzen sein. Er verfolgte einen eigenen, frischen Ansatz.
Den nächsten großen Schritt unternahmen sie im Winter 1990/91 in Butch Vigs “Smart Studios” in Madison, Wisconsin. Mit einem kleinen Budget entstand ein Album, das sich jeder Schublade entzog. Für Billy Corgan war es ein spiritueller Prozess, ein mühsames Ausloten einer Klangsprache, die sowohl auf BLACK SABABTH als auch auf die BEATLES, auf MY BLOODY VALENTINE und QUEEN basierte – sie verband Einflüsse aus allen Richtungen, auch die von LSD-Trips und katholischen Schuldgefühlen. Doch die Aufnahmesessions waren nervenzerreißend und belasteten bereits die Beziehungen innerhalb der Band.
Am 28. Mai 1991, nur vier Monate bevor NIRVANAs ´Nevermind´ die Welt eroberte, veröffentlichten die SMASHING PUMPKINS ihr Debütalbum ´Gish´. Das Album stellte nicht nur einen frühen Höhepunkt der 90er-Alternative-Rock-Szene dar, sondern auch einen ersten bedeutenden Einblick in das kreative Genie von Billy Corgan. Denn das Ergebnis war kein gewöhnliches Album. ´Gish´ war kein echtes Grunge-Album, auch kein Metal-Album, kein Shoegaze und kein Psych-Rock. Und doch war es all das auf einmal.
Von der ersten Sekunde an ziehen THE SMASHING PUMPKINS die Hörer in ihren Bann. Der Opener ´I Am One´ (“See You, I Am One”) beginnt mit einem druckvollen Schlagzeug-Beat von Jimmy Chamberlin, bevor sich die komplexe Gitarrenwand von Billy Corgan und James Iha aufbaut. Diese Mischung aus wütender Energie und melodischer Raffinesse zieht sich durch das gesamte Album. Songs wie ´Siva´ oder ´Snail´ spielen mit dem Kontrast zwischen leisen und lauten Passagen, sanften und brutalen Momenten. Besonders ´Siva´ (“I Don´t Live”), mit seinem ruhigen Mittelteil, der sich gitarrentechnisch in ein Inferno verwandelt, bringt diesen charakteristischen Bandsound auf den Punkt.
In Songs wie ´Rhinoceros´ (“She Knows”) oder ´Suffer´ (“Too Late”) zeigt sich auch die psychedelische Seite der Band. ´Rhinoceros´ ist ein über sechs Minuten langer Track, getragen von Tremolo-Gitarren und einem flüsternden Gesang, dessen subtile Spannung sich langsam aufbaut und dann in einen kraftvollen Ausdruck übergeht. Das Gleiche gilt für ´Snail´ (“Siren Snail”), das Corgan selbst zu seinen Favoriten zählt, weil seine Stärke erst nach und nach deutlich wird. Diese Stücke sollten die Richtung für die kommenden Jahre, für die kommenden Alben ´Siamese Dream´ und ´Mellon Collie And The Infinite Sadness´ andeuten.
Dass Billy Corgan viele der Gitarren- und Bassparts selbst gespielt hat, ist kein Geheimnis und unterstreicht nur seinen Perfektionismus. Die Musik klingt, als wäre jede Note genau am richtigen Platz. Billy Corgan war hier nicht nur Songwriter, sondern auch der Architekt und ´Gish´ war sein erstes großes Werk. Aber man sollte die anderen Bandmitglieder nicht unterschätzen.
Jimmy Chamberlin zeigt in jedem Song eine beeindruckende Schlagzeugarbeit, sei es als treibende Kraft in ´Tristessa´ oder als sichere Rückhalt in ´Bury Me´. Besonders ´Tristessa´, benannt nach einem Buch von Jack Kerouac, besticht durch seinen straffen Rhythmus und eine großartige Dynamik.
Und D’arcy Wretzky hinterlässt mit ihrer wandelbaren Bassline-Hook in ´Crush´ (“Your Love”) zu den in der Atmosphäre schimmernden, akustischen und elektrischen Gitarren einen bleibenden Eindruck sowie obendrein im Speziellen beim überraschend folkigen Track ´Daydream´. Ihr Gesang bringt einen fast verletzlichen Moment, der jedoch direkt vor Billy Corgans kurzem Track ´I’m Going Crazy´ vielleicht etwas in den Schatten gestellt wird, vielleicht sein einziger Lapsus auf dem Album.
Die Produktion von Butch Vig war zu dieser Zeit im Indie-Bereich etwas Besonderes. Ein Budget von 20.000 Dollar und drei Monate im Studio waren für ein Debüt eher außergewöhnlich. ´Gish´ klingt demzufolge richtig großartig. Die dichte Textur der Gitarren, das druckvolle Schlagzeug und die Leichtigkeit der ruhigeren Parts greifen wunderbar ineinander. Nichts wirkt überproduziert, die rohe Energie der Band ist jederzeit spürbar.
Natürlich blieb ´Gish´ anfangs von den großen Medien weitgehend unbemerkt. Es gab keinen großen Chart-Erfolg und wenig Airplay. Dennoch wurde das Album der meistverkaufte Independent-Release der nächsten drei Jahre. Das Album bewies, dass es zwischen Grunge, Indie und Hardrock immer noch Platz für etwas ganz Eigenes gab. Es war das Zeugnis einer Band, die zu sich selbst fand und in einem ruhigen Studio in Wisconsin ein Statement ablieferte, das noch heute nachhallt.
´Gish´ ist vielleicht nicht das beste Album der SMASHING PUMPKINS, aber möglicherweise das ehrlichste. Es ist das Album, das vor dem Ruhm, vor den Drogen und den Streitereien entstand. Es zeigt die vier Musiker, die noch gemeinsam nach einem Ziel strebten. Und vielleicht ist genau das seine größte Stärke.
Die Wiederveröffentlichung auf 180g-Vinyl ist äußerst gut geglückt. Der Klang ist klar, dynamisch und rauschfrei. Das Album klingt dabei durch und durch kraftvoll, hat lebendige Mitten und starke Bässe.
Über die hochwertige Ausstattung kann man sich nur freuen: ein stabiles Gatefold mit glänzender Oberfläche und teilweise mit Folienprägung versehen. Auch wenn das Artwork etwas vom Original abweicht, überzeugt der Klang auf ganzer Linie.
Das ist eine ausgezeichnete Wiederveröffentlichung und sehr empfehlenswert für Sammler sowie für all jene, die das Album neu für sich entdecken möchten.
(9 Punkte)