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GENESIS – Abacab

1981/2025 (Analogue Productions/Atlantic 75 Series) – Stil: Pop Rock

Nach der Tour im Jahre 1980, mit der GENESIS ihr zehntes Studioalbum ´Duke´ vorgestellt hatten, gönnte sich die Band zunächst eine kurze Auszeit. Im November desselben Jahres erwarben Phil Collins, Tony Banks und Mike Rutherford gemeinsam ein Bauernhaus mit angrenzendem Kuhstall im englischen Chiddingfold, Surrey, und verwandelten es in ihr eigenes privates Studio, das fortan schlicht „The Farm“ genannt wurde. Zunächst probten sie noch im Wohnzimmer des Hauses, bevor im Frühjahr 1981 das Studio voll einsatzbereit war.

Mit ´Abacab´ begann für GENESIS eine spürbare stilistische Neuorientierung. Der progressive Rock vergangener Jahre trat in den Hintergrund zugunsten direkterer, poporientierter Songs. Eine bewusste Entscheidung der Band, um sich von ihren eigenen musikalischen Mustern zu lösen. Lange Instrumentalpassagen oder komplexe Reprisen wichen einer reduzierten, klareren Struktur. Zum ersten Mal seit ´A Trick Of The Tail´ im Jahre 1976 entstand wieder ein Album komplett in England – und zugleich das erste, das auf „The Farm“ geschrieben, aufgenommen und gemischt wurde.

Mit Toningenieur Hugh Padgham, der zuvor bereits mit Phil Collins an dessen Solodebüt ´Face Value´ gearbeitet hatte, entstand zwischen März und Juni 1981 ein Werk, das die Band auch als Produzenten in Eigenregie verantwortete. ´Abacab´ wurde am 18. September 1981 veröffentlicht, erreichte Platz 1 der britischen Albumcharts und schaffte erstmals für GENESIS den Sprung in die Top Ten der US-Billboard-200.

Vier Singles wurden ausgekoppelt, darunter die Titelnummer und ´No Reply At All´, die beide zu den erfolgreichsten Songs der Gruppe in dieser Phase zählen. In den USA wurde das Album mit Doppelplatin ausgezeichnet, in Großbritannien mit Gold.

Zum 75-jährigen Jubiläum von „Atlantic Records“ erscheint ´Abacab´ wieder auf Vinyl. 

Dem haben sich „Analogue Productions“ angeschlossen und veröffentlichen das mehrfach ausgezeichnete Album als 180g schweres Doppel-Vinyl mit 45 rpm. Gepresst wurde bei „Quality Record Pressings“, bearbeitet vom analogen Original-Masterband durch Bernie Grundman Mastering und verpackt in einem hochwertigen Tip-on Gatefold Double-Pocket Jacket von „Stoughton Printing“.

Die Zusammenarbeit von „Acoustic Sounds“, „Analogue Productions“ und „Quality Record Pressings“ führt hier zu einem besonders dynamischen Soundbild und einer tadellosen Pressung. Somit ergeht eine höchste Empfehlungsstufe.

´Abacab´ markiert den Übergang von GENESIS’ progressiver Vergangenheit zu einer direkteren, songorientierten Ausrichtung. Die Mischung aus Pop, Rock und vereinzelten komplexeren Strukturen öffnete der Band in den frühen Achtzigerjahren neue Hörerschichten, entfremdete jedoch etliche Anhänger der älteren, symphonischen Ära.

Der eröffnende Titelsong ´Abacab´ ist ein pulsierendes, hypnotisches Stück, geprägt von Tony Banks’ dichten Synthesizerflächen, auf die Mike Rutherford mit seiner Gitarre antwortet, und Phil Collins’ markantem Schlagzeugspiel. Die längere Albumfassung gibt Mike Rutherford mehr Raum für Gitarrenarbeit und vermittelt ein frisches Live-Feeling.

´No Reply At All´ setzt mit funkiger Leichtigkeit und einer Bläsersektion von EARTH, WIND & FIRE auf einen deutlich poppigeren Ansatz. In den 70ern wäre ein solches Arrangement mit der aus Phil Collins’ Soloalbum ´Face Value´ bekannten Bläsersektion undenkbar gewesen. Doch in den USA wird der Song ein Riesenhit, in Großbritannien punktet hingegen der Titelsong stärker.

Mit ´Me And Sarah Jane´ präsentiert Tony Banks die komplexeste Komposition des Albums. Reggae-Anklänge, harmonische Feinheiten und stetige Stimmungswechsel verbinden sich zu einem Mini-Epos in einem dramaturgisch dichten Arrangement. Im Gegensatz zu dieser komplexen Komposition schlägt Tony Banks für sein zeitgleiches Soloalbum den konservativeren Weg ein.

Das außergewöhnliche ´Keep It Dark´ fällt durch seinen unkonventionellen, mechanisch wirkenden Rhythmus und geheimnisvolle Texte auf, die an die schrulligere Seite des GENESIS-Katalogs erinnern. Das zweiteilige ´Dodo / Lurker´ ist mit über sieben Minuten das große Epos der Platte – ein abwechslungsreicher, spannungsgeladener Titel mit jazzigen Anklängen, neo-proggigen Keyboard-Fanfaren und deutlichen Dynamikwechseln.

´Who Dunnit?´ ist ein bewusst simpler, experimenteller Synthesizer-Titel, der bis heute aufgrund seiner repetitiven Wortfolgen enerviert und polarisiert. ´Man On The Corner´ zeigt Phil Collins’ melancholische Seite und erinnert stark an den Stil seines Soloalbums ´Face Value´. Offensichtlich war sein Solosound in den von GENESIS inzwischen stark eingesickert.

´Like It Or Not´ von Mike Rutherford ist eine melodische, zurückhaltende Nummer ohne ausgedehnte Instrumentalpassagen. Den Abschluss bildet ´Another Record´, ein ausgewogen produzierter Song mit einprägsamer Melodie und einem gelungenen Spannungsbogen.

Rückblickend ist ´Abacab´ ein mutiger Schnitt, der bewusste Abschied von der eigenen Prog-Vergangenheit und der Beginn einer Phase, in der GENESIS die Pop- und Rock-Sprache der frühen 80er Jahre für sich übersetzen. Für manche ein “Verrat” und “Verkauf” an den Mainstream, für andere der Beweis, dass wahre Künstler sich stets weiterentwickeln. Sicher ist jedoch, dass dieses Album die Brücke zwischen zwei Epochen der Bandgeschichte bildet – und ohne ´Abacab´ hätte es das spätere, weltweite Phänomen GENESIS wohl nie in dieser Form gegeben.

Mike Rutherford – Gitarren, Bass
Phil Collins – Schlagzeug, Gesang
Tony Banks – Keyboards

https://www.facebook.com/genesis

 

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