
BILL EVANS TRIO – Explorations (Small Batch, One-Step Pressing)
1961/2024 (Riverside Records/Craft Recordings) - Stil: Jazz
New York, Februar 1961. Der Regen draußen glänzt wie Öl auf dem Asphalt. Drinnen, in einem verrauchten Kellerclub, irgendwo zwischen Realität und Mythos, huscht ein Piano durch die Dunkelheit, begleitet von einem Gedanken sammelnden Bass und einem in der Stille atmenden Schlagzeug. Bill Evans ist der Tastendenker, ein Melancholiker mit messerscharfem Ohr für Harmonie und Stille; Scott LaFaro, ein junger Wilder, dessen Basslinien nicht begleiten, sondern widersprechen und provozieren; Paul Motian, ein Trommler, der nicht schlägt, sondern flüstert und malt. Willkommen in Bill Evans’ Kopfkino. Willkommen bei ´Explorations´. Dies ist kein gewöhnliches Jazzalbum. ´Explorations´ ist der Moment, in dem das klassische Piano-Trio aufhört, ein Format zu sein und zu einer Sprache wird.
Zu diesem Zeitpunkt ist Bill Evans bereits eine feste Größe. Er war das stille Genie hinter ´Kind Of Blue´, hat mit Cannonball Adderley, Charles Mingus und George Russell gespielt. Doch sein Trio ist sein eigenes Königreich. Mit ´Portrait In Jazz´ begann es. ´Explorations´ ist die Vertiefung. Der Blick nach innen.
Der erfolgt mit ´Israel´, ein Stück von John Carisi und nicht gerade ein Gassenhauer. Aber das BILL EVANS TRIO erzeugt Magie. Bill Evans tastet sich an die Struktur heran und gewährt viel Raum. Scott LaFaro antwortet mit flinken, fast tänzerischen Linien, als wolle er dem Stück einen neuen Charakter verpassen. Paul Motian setzt mit sparsamem Pinselstrich Akzente wie ein Schöpfer. Das ist keine Neuvertonung, sondern ein Gespräch.
´Haunted Heart´ ist bittersüße Eleganz. Bill Evans spielt, als würde er mit geschlossenen Augen träumen. Scott LaFaro unterfüttert das Ganze mit warmen, tiefen Tönen. Das Thema, eigentlich ein Theaterlied von Arthur Schwartz und Howard Dietz, wird zur balladesken Meditation über Verlust und Schönheit.
Der Standard ´Beautiful Love´ ist ein echter Klassiker, doch das BILL EVANS TRIO schenkt ihm ein neues Gewand. Das Klavier ist kraftvoll, der Bass hyperaktiv. Scott LaFaros Improvisationen scheinen wie Fragen, die Bill Evans’ Antworten herausfordern. Und Paul Motian fliegt, manchmal kaum hörbar, immer nah am Herzschlag der Musik.
Mit ´Elsa´, einer Komposition von Bill Evans’ Freund Earl Zindars, kommt zum Abschluss der A-Seite ein Jazz-Walzer ins Spiel. Aber nicht einer zum Tanzen, sondern eher zum Schweigen. Ein geheimnisvoller Nebel lichtet sich erst langsam. Bill Evans phrasiert wie ein Dichter, während sich das Trio in Gänze durch das 3/4-Metrum schwerelos und schimmernd bewegt.
Ein kleines Mysterium im Repertoire von Bill Evans ist ´Nardis´, geschrieben von Miles Davis, aber mit der Seele von Bill Evans verflochten. Die Komposition ist in ihrer ersten Trio-Version, viele weitere werden folgen, noch roh, aber durchdrungen von Energie. Scott LaFaro spielt frech und frei, während Paul Motian rhythmisch zerlegt, was andere vielleicht geglättet hätten, und Bill Evans spinnt Melodie-Linien, die in sich selbst versinken.
Dann folgt ´How Deep Is The Ocean?´ in einer ungewohnten Leseart. Erst streichen Bill Evans und Scott LaFaro durch die Akkorde wie durch Nebelschwaden, ehe die Melodie, wie man sie kennt, endlich auftaucht. In diesem Moment fühlt sie sich an wie das Wiedersehen mit einer alten Liebe. ´I Wish I Knew´ ist hingegen pure Intimität, ein aufrichtiges Musizieren ohne Effekte. Jeder Ton zählt. Bill Evans spielt mit einer Zurückhaltung, die lauter wirkt als jedes Solo.
Der Blick nach innen wird mit ´Sweet And Lovely´ abgeschlossen. Süß und lieblich, mit einem wissenden Lächeln nimmt sich Paul Motian den Raum, der zum Anfassen nah erscheint, Scott LaFaro lässt seine Saiten sprechen und Bill Evans übernimmt das Kommando, ohne die Führung zu übernehmen.
´Explorations´ ist etwas sehr beeindruckendes und besonderes. Bill Evans’ Konzept der „simultanen Improvisation“ wird hier Wirklichkeit. Bill Evans, Scott LaFaro and Paul Motian spielen nicht miteinander, sie sind miteinander. Sie sind ein Individuum mit drei Stimmen.
Dabei ist die Atmosphäre im Studio alles andere als harmonisch. Bill Evans angeschlagen, Scott LaFaro genervt, das Bassinstrument nur geliehen. Streit liegt in der Luft. Doch was aus den Lautsprechern kommt, ist pures Gold. Vielleicht weil das Persönliche hinten anstehen muss und alle in die Musik flüchten.
Nur wenige Monate später wird Scott LaFaro sterben. Ein Autounfall, zehn Tage nach den legendären “Village Vanguard“-Aufnahmen. ´Explorations´ bleibt als Zeugnis eines Moments, der nie wiederkehren konnte. Und klingt vielleicht deshalb so verletzlich, intensiv und wahr.
´Explorations´ ist ein nächtlicher Spaziergang durch ein Viertel, das du zu kennen glaubst, bis Bill Evans, Scott LaFaro und Paul Motian dich in eine Gasse führen, die du nie zuvor bemerkt hast.
(Klassiker)
Die Neuauflage von ´Explorations´ innerhalb der “Small Batch”-Serie ist wie ein frisch gestrichener Club, samt neuer, samtener Vorhänge, leiser Kellertreppe und perfekt gestimmtem Flügel. “Craft Recordings” hat sich mit dieser limitierten “One-Step Pressing”-Ausgabe (2.500 Exemplare weltweit, einzeln nummeriert) ein kleines Denkmal gebaut, nicht aus Bronze, sondern aus Klang.
Gepresst bei “RTI” auf 180g mit “Neotech VR900-D2”-Super Vinyl, einem Material so still wie Mitternacht im “Village Vanguard”, bietet diese Pressung eine klangliche Klarheit, die fast unheimlich ist. Kein Rauschen, kein Knacken, keine Ablenkung – nur Bill Evans, Scott LaFaro und Paul Motian, direkt in deinem Haus, als hätte jemand die Aufnahme vom 2. Februar 1961 konserviert und dir ins Regal gestellt.
Master Bernie Grundman hat mit seinem Schneidekopf von den Original-Master-Tapes wieder einmal studiotechnisch Jazzgeschichte geschrieben. Der Klang ist vielleicht etwas wärmer als das Original, etwas dichter, aber ebenso ausbalancierter, stabiler und präsenter. Scott LaFaro ist greifbarer. Paul Motians Texturen sind definierter. Und Bill Evans’ Anschlag kommt dir unheimlich real vor.
Die Verpackung ist natürlich wie immer in der “Small Batch”-Serie ein Erlebnis für sich. Eine schwere, leinenbezogene Slipcase-Box mit Folienprägung und einem dezent eingestanzten Nummernfeld. Die Platte selbst kommt in einer originalgetreuen “tip-on” Riverside-Hülle, aus der schmalen Box an einem Seidenband herausgezogen. Dazu ein Booklet mit frischen Linernotes von Syd Schwartz, der mehr über Jazz und Espresso weiß als der Rest der Welt.
Somit ist die “One-Step Pressung” die ultimative Version von ´Explorations´. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber es ist definitiv die zugänglichste, luxuriöseste und musikalisch wie klanglich eine Veröffentlichung, die dem Werk gerecht wird. Für den Jazz-Connaisseur, der Atmosphäre, Authentizität und audiophilen Genuss sucht, ist diese “One-Step”-Ausgabe von ´Explorations´ ein “Must-Have”.
So viel Jazz, so viel Leben – auf einer einzigen, schweren Platte.
Setz die Nadel auf. Dimm das Licht. Der Club ist offen.
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Bill Evans – Klavier
Scott LaFaro – Bass
Paul Motian – Schlagzeug